Zentrum für Menschen mit geistiger Behinderung

Geschichte

Die Anfänge

Das Herz-Jesu-Haus wurde 1872 von zwei Ordensschwestern gegründet. Sie gehörten zur Ordensgemeinschaft der Dienerinnen des heiligsten Herzens Jesu, die 1866 durch den Priester Victor Braun in Paris gegründet wurde.

Aus seiner Lebensregel stammt das folgende Zitat: „ Schöpfen wir aus dem Herzen Jesu eine Liebe, die allen gewidmet… und besonders auf Arme, Kranke, Kinder und Menschen mit geistiger Behinderung gerichtet ist, damit sie erhalten, was sie zu einem sinnerfüllten Leben brauchen, damit ein Jeder das Leben in Fülle hat.“

Zunächst gründeten die beiden Schwestern eine Art Gemeindestation und pflegten alte und kranke Menschen in Niederfell. 1882 zogen die Ordensschwestern in den Ortsteil Kühr, der auch heute noch Zentrum der Einrichtung ist.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts lebten im Herz-Jesu-Haus 74 Menschen. Schon 15 Jahre später hatte sich die Anzahl mehr als verdoppelt: 1915 zählte das Haus 159 Bewohnerinnen. In dieser Zeit war das Herz-Jesu-Haus Kühr auch Zufluchtsstätte für viele Kinder und Jugendliche, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in ihrem Zuhause aufwachsen konnten. 1907 wurde eine sogenannte „Anstaltshilfsschule“ gegründet.

Schon in den 1920er Jahren wurden auch Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung aufgenommen. Der Dienst in den Wohngruppen und Versorgungsbetrieben wurde ausschließlich von 80 bis 85 Ordensschwestern geleistet. Das Ausmaß dieser Leistung wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Schwestern und Bewohnerinnen fast ausschließlich von dem lebten, was sie selbst in der Landwirtschaft erarbeiteten oder von Spenden aus der Bevölkerung.

Nationalsozialismus

Eine besonders schlimme Zeit erlebte Kühr in den Jahren unter national-sozialistischer Herrschaft. Viele Kinder und Jugendliche wurden in dieser Zeit zu ihren Verwandten entlassen, um sie vor einem Abtransport im Rahmen des sogenannten „Euthanasieprogramms“ zu schützen. Trotz aller Bemühungen konnte es im Jahr 1943 nicht verhindert werden, dass 150 Mädchen und Frauen mit Behinderung nach Stadtroda, Klagenfurt und Altscherbitz abtransportiert und dort getötet wurden. Nur fünf kamen aus den Lagern wieder.

Heute erinnern eine Stele mit allen 150 Namen in Kühr und ein Gedenkstein auf dem Niederfeller Friedhof an diese Opfer des Nationalsozialismus.

II. Weltkrieg

Der II. Weltkrieg prägte auch das Leben im Herz-Jesu-Haus. Im Mai 1943 wurden 150 Kinder und Jugendliche aus dem Franz-Sales-Haus in Essen, das ausgebombt worden war, nach Kühr verlegt. Auch Familien aus Koblenz, die ausgebombt waren, fanden hier Unterkunft. Zwischen 1940 und 1947 wurden mehr als 100 verwundete Soldaten in Kühr gepflegt.

Wachstum

In den 1950er Jahren lebten bis zu 380 Mädchen und Frauen im Herz-Jesu-Haus. Die Kinder wurden in den meisten Fällen durch die Landesnervenklinik in Andernach oder die Rheinische Landesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bonn zugewiesen und erhielten in Kühr – häufig zum ersten Mal in ihrem Leben - schulische und lebenspraktische Förderung.

Erstmals größere Unterstützung aus öffentlichen Mitteln bekam das Herz-Jesu-Haus Kühr in den 1960er Jahren. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich das Zentrum sehr schnell weiter. So wurden 1962/63 zwei Wohnhäuser, das Anna- und das Josefshaus erbaut. Die kleineren Wohneinheiten, in denen damals 20 – anstatt wie vorher bis zu 50 Bewohnerinnen - lebten und die Zimmer mit vier Betten wurden freudig bezogen.

1974 wurde das Hallenbad gebaut, 1981 die Sporthalle und das Therapiegebäude: Schwerpunkte wurden auf Förderung und Bewegung gelegt. 1982 wurde das Theresienhaus gebaut, in das damals fünf Wohngruppen einziehen konnten. Dies führte zu einer Auflockerung in den bisherigen Wohnbereichen. 1975 waren innerhalb der Einrichtung noch 48 Ordensschwestern im Dienst, die gemeinsam mit 75 weltlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Menschen mit Behinderung betreuten, förderten und pflegten.

Traditionsgemäß lebten ausschließlich Mädchen und Frauen im Herz-Jesu-Haus. Viele besuchten die Sonderschule für Lernbehinderte, später kam eine Schule für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung dazu. Von 1960 bis 1982 gab es auch eine hauswirtschaftliche Sonderberufsschule mit dem Ziel, die jungen Frauen beim Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen.

Normalisierung

Seit 1990 leben auch Jungen und Männer im Herz-Jesu-Haus. Einige Jahre zuvor zogen die ersten Bewohnerinnen in sogenannte Außenwohngruppen und leben mitten in den Ortsgemeinden an der Untermosel. Mit der Gründung der Mosellandwerkstätten Ebernach-Kühr fanden viele Bewohnerinnen und Bewohner eine Möglichkeit, am Arbeitsleben außerhalb der Einrichtung teilzuhaben. Eine eigene Vereinsstruktur ermöglicht inklusive Bildungs-, Freizeit- und Sportangebote.